Von Dr. André Griemert 

Was hat der Name Moritz Daniel Oppenheim mit der Hohen Landesschule zu tun? Sehr viel, denn der erste moderne jüdische Maler hatte wohl nach seiner Einschulung im neuen Gymnasium, das 1812 aus der geschlossenen Hohen Landesschule hervorgegangen war, am 11. Mai 1813 laut der Hanauer Filmemacherin Isabel Gathof den wohl kürzesten Schulweg. Oppenheim war einer der ersten jüdischen Schüler an dieser Schule des Großherzogtums Frankfurt. Er steht damit exemplarisch für den Weg der jüdischen Bevölkerung in Deutschland aus ihren Ghettos in die im Entstehen begriffene bürgerliche Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Diesem Umstand wurde am 28. März 2023 Rechnung getragen, indem an der Hohen Landesschule in einer Feierstunde die von der Stadt Hanau aufwendig umgestaltete Oberstufen-Mediothek mit neuem Namen eingeweiht wurde. Sie begrüßt nun als „Moritz Daniel Oppenheim Oberstufen-Mediothek“ ihre Besucherinnen und Besucher.

Bürgermeister Axel Weiß-Thiel erinnerte sich in seinem Grußwort daran, wie er als Schüler in der 11. Klasse in den Neubau der HOLA am Alten Rückinger Weg einzog. Es mache ihn nun sehr stolz, als scheidender Schuldezernent die Mediothek mit der Schulgemeinde zusammen eröffnen zu dürfen. Weiß-Thiel betonte, dass Bücher weiterhin den selbstverständlichen Anblick von Bibliotheken bestimmten. Ziel sei es daher, die Bestände der Schulmediotheken in Hanau in das Bibliotheksnetz des Kulturforums zu integrieren.

Es habe sich aber auch viel geändert. Weiß-Thiel verwies in nachdenklichen Worten auf die aktuellen Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und deren Auswirkungen auf Bildung: „Ob es die Medien sind, mit denen man sich mit Bildung auseinandersetzt, ist die Frage. Die eigentliche Herausforderung ist doch eher die Schnelllebigkeit der Zeit und der Inhalte.“ Gerade mit ChatGPT sei eine Entwicklung angestoßen worden, die Bildung und Lernen in Zukunft nachhaltig beeinflussen werde. Dieser Herausforderung müsse man sich aber stellen. Als Schulträger sehe man für sich die Aufgabe, den Schulen als Lernlandschaft die Möglichkeiten zu geben, Unterricht und Bildung in das nächste Jahrtausend zu bringen.

Sein Grußwort abschließend betonte Weiß-Thiel, dass das „Heute“ nur mit Blick auf die Vielfalt der letzten 400 Jahre zu verstehen sei. Die Ereignisse dieser Jahrhunderte bildeten keine Zufälligkeiten ab, sondern ließen sich alle auf bestimmte Ursachen zurückführen. Diese Ursachen müsse man kennen, um in einer offenen und vielfältigen Gesellschaft über die Fehler der Geschichte lösungsorientiert hinsichtlich aktueller Probleme diskutieren zu können. Gerade dies zeichne Hanau als Stadt der Vielfalt aus und gerade dieses sei besonderer Auftrag von Schulen und letztlich auch von Bibliotheken.

Schulleiter Martin Göbler betonte ebenfalls die gelungene Gestaltung der Mediothek, was ihn für die weiteren geplanten baulichen Veränderungsschritte optimistisch stimme. Insofern dankte er der Stadt Hanau, ohne deren Einsatz die Eröffnung der Mediothek in dieser Form nicht möglich gewesen sei. Göbler hob hervor, dass der Vorschlag für den Namensgeber sogar von der Stadt selbst gekommen sei, nämlich vom Leiter des Stadtschulamts, Frank Bornmann, den die HOLA gerne aufgriffen habe. Dabei dürfe es bei der Namensgebung nicht stehen bleiben. Vielmehr solle mit ihr eine Haltung und ein Vorbild für heutige und zukünftige Generationen zum Ausdruck kommen. „Wir wollen aus der Geschichte lernen, damit wir die Gegenwart begreifen und unsere Haltung hieraus formen“, so Schulleiter Göbler. Dies sei gerade mit Blick auf die Stadtgeschichte und die aktuelle Situation in Hanau immens wichtig, auch um dem Bildungsauftrag gerecht zu werden. Nicht umsonst sei die HOLA „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Als Schulgemeinde trete man für eine Gesellschaft in Vielfalt ein und suche daher die Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde in Hanau. Moritz Daniel Oppenheim fungiere an der HOLA als Impuls für ein integriertes Verständnis von Vergangenheit und Gegenwart. Daher gehe die inhaltliche Arbeit mit der Eröffnung der Mediothek und der Namensgebung erst los. In dieser Arbeit solle die Mediothek ein zentraler Ort für Ausstellungen, Lesungen und kulturelle Veranstaltungen werden. Ein Beispiel hierfür sei der neue Moritz Daniel Oppenheim-Kunstpreis, der jährlich von der Stadt Hanau, der Hohen Landesschule und den Freunden und Förderer der Hohen Landesschule ausgelobt werden soll.

Schulleiter Martin Göbler dankte an dieser Stelle Dr. Thomas Liesemann, dem Leiter der Oberstufenmediothek, für seinen unermüdlichen Einsatz für die Mediothek und für die gemeisterten Herausforderungen bezüglich ihres Umbaues. Liesemann selbst brachte seine große Freude darüber zum Ausdruck, dass die Eröffnung der Mediothek noch innerhalb seiner Dienstzeit falle. Schließlich reichten die ersten Pläne weit zurück in das Jahr 2012. Sieben Jahre später, im Jahr 2019, sei es dann so weit gewesen und die Stadt begann unter Leitung des Hanau Immobilien- und Baumanagements den Umbau. Die eigentlichen Arbeiten begannen dann mitten in der Pandemie im Sommer 2020 und seien nun zu einem hervorragenden Ende gebracht worden.

Schulleiter Martin Göbler, Dr. Thomas Liesemann und Bürgermeister Axel Weiß-Thiel (v. l. n. r.)

In fachlicher Perspektive führten die beiden Gastredner durch die inhaltlichen Hintergründe zur Benennung der Mediothek nach Moritz Daniel Oppenheim: Prof. Friedrich Battenberg (TU Darmstadt), ehemaliger Leiter des Staatsarchivs Darmstadt und aktuell stellvertretender Vorsitzender der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen und Vorstandsmitglied der Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden, skizzierte in seinem Festvortrag den verschlungenen Weg der jüdischen Emanzipation, das heißt der bürgerlichen Gleichstellung der Juden in Hanau und Hessen und unterstrich die Worte seiner Vorredner mit Blick auf die Bedeutung Moritz Daniel Oppenheims auch für die heutige Generation von Schülerinnen und Schülern: „Wenn hier, in der Hohen Landesschule Hanau, die Oberstufen-Mediothek nach dem prominenten jüdischen Künstler Moritz Daniel Oppenheim benannt wird, so ist dies auch ein deutliches Signal gegenüber den Schülerinnen und Schülern dieses Gymnasiums: Hier wird jemand öffentlich sichtbar gemacht und geehrt, der seine Leidenschaft und seinen Beruf so nur ausüben konnte, weil er über die ihm im Zuge der Emanzipation gewährten bürgerlichen Rechte verfügte. Seine künstlerischen Leistungen wären ihm in der Zeit des Hanauer Ghettos nicht möglich gewesen. Auch dies sollte man nicht vergessen.“

Die durch ihre Filmprojekte international bekannte Hanauer Filmemacherin Isabel Gathof führte anschließend als zweite Gastrednerin durch das Leben von Moritz Daniel Oppenheim. Neben Filmausschnitten aus ihren beiden Filmen über den im Jahre 1800 in Hanau geborenen jüdischen Künstler  („Moritz Daniel Oppenheim – Der erste jüdische Maler“ und „Moritz Daniel Oppenheim macht Schule“) verdeutlichte Gathof mithilfe von Bildern aus Oppenheims Oeuvre seinen Stellenwert als „Pop-Künstler“ seiner Zeit. Sein Gesamtwerk sei bedeutsam, weil Oppenheim aus der jüdischen Gemeinschaft selbst heraus malte. Seine Bilder kommen ohne die ansonsten durchgängig verbreiteten antisemitischen Stereotype aus, die im 19. Jahrhundert in Bildern „über“ Juden weit verbreitet gewesen waren. Dabei hatte Oppenheim aufgrund der Bildungsaffinität seines Elternhauses die besten Voraussetzungen für eine herausragende Karriere – vor allem seine Mutter nahm den Jungen gerne mit ins Theater. Deutsch-jüdische Geschichte dürfe – so die Quintessenz von Gathof – nicht nur über die schwärzesten Kapitel, von 1933 bis 1945, vermittelt werden, sondern auch ausgehend von den vielen Erfolgsgeschichten, die das Zeitalter der jüdischen Emanzipation mit sich brachte. Gerade hierfür stehe Moritz Daniel Oppenheim geradezu exemplarisch. Erst aus dieser Perspektive werde dann das Ausmaß der Katastrophe der Shoa sehr viel deutlicher. Gathof ging abschließend auf weitere Vorhaben ein, die in Kooperation mit der HOLA in den kommenden Monaten anlässlich des 210. Einschulungsjubiläums von Moritz Daniel Oppenheim an der Schule geplant seien: Zum einen soll eine von Schülerinnen und Schülern der HOLA vorgenommene digitale Rekonstruktion des historischen, unweit der ehem. Judengasse (heutige Nordstraße) gelegenen HOLA-Gebäudes von 1665 – in dieses Gebäude ging auch Moritz Daniel Oppenheim zur Schule – in Augmented Reality umgesetzt werden. Hierzu wurden erste Kontakte von Gathof zu Spezialisten nach Israel geknüpft. Zum anderen ist eine „Oppenheim-Projektwoche” an der HOLA in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde in Hanau, der Stadt Hanau, dem Museum Judengasse und dem Jüdischen Museum in Frankfurt geplant. Ziel dieser Woche ist es, den Schülerinnen und Schülern lebendiges Judentum von heute anschaulich zu vermitteln. Neben Exkursionen sind Projekttage an der Schule geplant, an denen sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit jüdischer Geschichte und Kultur mit Regionalbezug auseinandersetzen.

Am Ende der Feierlichkeiten fand neben der Schlüsselübergabe vonseiten der Stadt an die Schulgemeinde die Enthüllung eines Gemäldes statt. Die Fachschaft Kunst kreierte in Anlehnung eines Selbstporträts von Moritz Daniel Oppenheim ein wandhohes Gemälde im Stil des Pointillismus, das nun seinen Platz in der Mediothek hat. Die Schulgemeinde überreichte der Stadt Hanau eine kleinere Variante dieses Gemäldes als Geschenk und Dank für den gelungenen Um- und Ausbau der Mediothek.

Schulleiter Martin Göbler mit Bürgermeister Axel Weiß-Thiel vor dem Gemälde der Fachschaft Kunst