von Stefan Prochnow
In Hanau wohnen, 18 Jahre alt sein und als Botschafterin die Republik Südsudan bei den „Vereinten Nationen“ (UN) vertreten? Auch wenn es unmöglich klingt, an der Hohen Landesschule geht das. Zumindest, wenn man sich dort in die „Arbeitsgemeinschaft Vereinte Nationen“ von Studiendirektor Stefan Prochnow einschreibt und akzeptiert, bei „Model United Nations Schleswig-Holstein“ (MUN-SH) vom 7. bis 11. März 2024 täglich von 9 bis 21 Uhr mit 300 anderen „Delegierten“ in einer Simulation echter UN-Gremien über aktuelle Probleme der internationalen Politik zu debattieren.
Foto: Schülerinnen und Schüler der Hohen Landesschule Hanau als „UN-Delegierte“ im Kieler Landtag
Harmanpreet Sihania (18) ist so eine motivierte Schülerin. Sie vertrat den Südsudan, den jüngsten Staat der Erde, in dem bei MUN-SH simulierten „UN-Menschenrechtsrat“. In ihrem Gremium ging es um die „Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte entlang globaler Lieferketten“.
Mit Florentine Fischer, Josefine Fues und Remy Neumann wurde Mexiko von einem rein weiblichen HOLA-Team bei MUN-SH 2024 vertreten, passend zum Weltfrauentag am 8. März. Insgesamt stellte die HOLA mit 26 Delegierten (darunter 18 junge Frauen) eines der größten Teams bei MUN-SH.
Seit dem Korea-Tag an der HOLA im vergangenen Jahr erfreut sich das ostasiatische Land wachsender Aufmerksamkeit. Laurenz Spies, Mia Keimer (im „Sicherheitsrat“) und Nouha El Jazouli vertraten Südkorea bei MUN-SH. Nouha El Jazouli, die auch eine der Hanauer Stadtschulsprecher ist, saß in der „Generalversammlung“. Statt auf den New Yorker East River blickte die junge Hanauerin auf die Kieler Förde, denn ihr Gremium tagte im Plenarsaal des Landtags in Kiel. Thema in ihrem Gremium war das „Globale Erinnern an Kolonialismus“. „Dieses Thema kommt in der Schule leider zu kurz, aber ich hatte mich bereits vor MUN-SH damit beschäftigt. Daher fiel es mir leicht, mich in die Position Südkoreas als ehemalige Kolonie hineinzuversetzen“, kommentierte die Schülerin. Nouha, die auch in der Bildungsinitiative Ferhat Unvar aktiv ist, betont, dass dieses Thema nicht nur bei MUN-Konferenzen behandelt werden sollte, sondern auch im echten Unterricht.
Foto: Jannis Reinhard und Florentine Fischer zeigen, wo Model United Nations Schleswig-Holstein stattfand: in Kiel an der Ostsee.
Insgesamt 26 Lernende der HOLA konnte der HOLA-Pädagoge Prochnow motivieren, sich auf die anspruchsvolle und zahlenmäßig größte deutschsprachige UN-Simulation für Schüler und Studenten vorzubereiten. Die Delegierten mussten sich intensiv mit dem von ihnen vertretenen Land auseinandersetzen, die Meinung des Landes zu drei Themen der internationalen Politik formulieren und in einem „Arbeitspapier“ einen Resolutionsentwurf der UN zu einem dieser Themen verfassen. „Die Papiere wurden von den Gremienvorsitzenden gelesen und mit konstruktiv-kritischen Rückmeldungen versehen“, freut sich Prochnow über die Entlastung der Lehrkräfte, die gewöhnlich die Arbeiten ihrer Schüler korrigieren müssen.
Prochnow hat von 1993-98 in Kiel Geographie, Wirtschaftswissenschaften, Politik, Rechtswissenschaft, Spanisch und Philosophie studiert und als Student selbst mit dem Gedanken gespielt, Richter oder Diplomat zu werden. Letztlich wurde es dann doch das Lehramt, was der 51-Jährige nie bereut hat, „schließlich kann ich als Lehrer auch Rechtskunde unterrichten und beschäftige mich und meine Schüler mit internationaler Politik, kann also täglich diese Leidenschaften leben und habe immer nur meine Lieblingsfächer.“ In den 1990er Jahren sei diese Entscheidung jedoch keine leichte gewesen, berichtet Prochnow: „In der Studienberatung wollte man mir zu Studienbeginn als angehender Geographie- und Politiklehrer raten, auch einen Taxischein zu machen. Ich habe dann sicherheitshalber weitere Fächer wie Philosophie und Spanisch studiert, um meine Einstellungschancen zu erhöhen.“
Ein Schüler der ersten HOLA-Teilnahme an MUN-SH im Jahr 2009 war der heutige Hanauer Bundestagsabgeordnete Lennard Oehl. Ob die Teilnahme an MUN-SH bei den diesjährigen Delegierten zu beruflichen Ambitionen in Politik oder Diplomatie beiträgt, vermag heute noch niemand zu sagen. Sicher ist jedoch, dass sie viel über die Kraft der Worte, die Macht der Geschäftsordnung und die schwierige Kunst des Kompromisses erfahren haben.
„Wir wollen nächstes Jahr bei MUN-SH wieder dabei sein“, sagten viele der Schülerinnen und Schüler. Jonas Schroeter (17) überlegt sogar, ins Organisationsteam zu wechseln und als Gremienvorsitz die Debatten mit ihrer komplexen Geschäftsordnung zu leiten.